Fachleute und NGOs fordern bessere psychische Versorgung

 
von Evangelischer Pressedienst

Moser: „Wartelisten bei psychologischer Behandlung noch immer zu lange“

Wien (epdÖ) – Hilfsorganisationen und Verbände haben auf die Notwendigkeit einer kostenfreien, umfassenden psychischen Versorgung für alle Menschen in Österreich aufmerksam gemacht. Unter dem Titel „Psychische Gesundheit für alle. Versorgung neu denken. Lücken schließen“ forderten Vertreter:innen von Caritas, Diakonie, Hilfswerk, Krebshilfe und Volkshilfe eine bessere psychische Versorgung in Österreich. Eingeladen zu dem Pressegespräch am Montag in Wien hatte der Berufsverbands Österreichischer PsychologInnen (BÖP).

Die Regierung habe gute Maßnahmen gesetzt, so der gemeinsame Tenor, etwa mit dem Recht auf eine klinisch-psychologische Behandlung durch die Verankerung im Sozialversicherungsgesetz (ASVG) ab 1. Jänner für alle versicherten Menschen. Es gebe aber auf dem Weg zu einer psychisch stabilen Gesellschaft in Österreich noch einiges zu tun. „Schaffen wir ein gemeinsames Netzwerk, handeln wir schnell“, appellierte Beate Wimmer-Puchinger, Präsidentin des Berufsverbands Österreichischer Psycholog:innen (BÖP), an die Politik.

Wimmer-Puchinger nannte die Aufnahme der fachspezifischen Leistungen in das ASVG einen „Meilenstein“, für den man lange gekämpft habe. Es brauche aber darüber hinaus noch weitere Kostenunterstützungen. „Deswegen führt kein Weg an klinisch-psychologischer Unterstützung auf E-Card vorbei“, so die BÖP-Präsidentin. Aktuell sieht die Regelung vor, dass jeder Versicherte einen klinischen Psychologen aufsuchen und im Anschluss einen Antrag auf Kostenzuschuss stellen kann. Das sei für viele Betroffene nicht niederschwellig genug und schließe vielfach armutsbetroffene Menschen aus, da sie keine finanziellen Vorleistungen erbringen können, so die Kritik.

Kinder und Jugendliche stark betroffen

Diakonie-Direktorin Maria Katharina Moser beklagte die Zunahme psychischer Belastungen von Kindern und Jugendlichen in allen gesellschaftlichen Schichten. Für Familien mit geringerem Einkommen sei es aber unverhältnismäßig schwerer, an Hilfe und Unterstützung zu kommen. „Die Wartelisten bei psychologischer Behandlung sind noch immer zu lange, die Kosten noch immer zu hoch“, kritisierte sie. Ein wichtiger Faktor sei Zeit: Je schneller betroffenen Kindern und Jugendlichen geholfen werden könne, desto besser könnten „Wunden von Belastung und Stress“ heilen, so Moser. Investitionen in psychische Gesundheit kämen Kindern und Familien zugute, aber auch der ganzen Gesellschaft.

Martin Schenk, Sozialexperte und Mitbegründer der Armutskonferenz, machte darauf aufmerksam, dass einkommensschwächere Personen am stärksten von Depressionen betroffen sind. „Das untere Fünftel der Einkommensbezieher weist mit 18,5 Prozent den höchsten Anteil an Depressionen auf“, so Schenk. Gleichzeitig seien für diejenigen, die am stärksten betroffen sind, die finanziellen Hürden einer guten Behandlung am höchsten. „Ein Gesetz für psychologische Behandlung zu beschließen, ohne es auch dem ärmsten Patienten leistbar zu machen, ist wie eine Wohnung anzubieten, ohne den Schlüssel auszuhändigen“, stellte Schenk einen bildlichen Vergleich an. „Der Schlüssel wäre eine ordentliche Finanzierung.“

Caritas für „Pakt gegen Einsamkeit“

„Wir leben in Zeiten multipler Krisen“, betonte Caritas-Generalsekretärin Anna Parr. Diese Krisen überforderten, machten einsam und viele Menschen in Österreich auch psychisch krank. Eine leistbare, niederschwellige und qualitative psychische Versorgung müsse deswegen Handlungsauftrag für Politik und Gesellschaft sein, so Parr. Sie plädierte dafür, sich dem Tabuthema Einsamkeit ganzheitlich zuzuwenden. Es gelte, die Thematik als vielschichtiges Problem zu erkennen, deswegen brauche es einen umfassenden „Pakt gegen Einsamkeit“. Ebenso forderte die Caritas-Generalsekretärin Bemühungen um einen „armutsfesten Sozialstaat“, der Grundvoraussetzung für psychische Gesundheit sei.

Der Präsident der Österreichischen Krebshilfe, Paul Sevelda, hob die Bedeutung der psycho-onkologischen Begleitung bei Krebserkrankungen hervor. Die Pandemie habe ein Bewusstsein für psychische Belastungen infolge von Erkrankungen geschaffen. „Das ist auch bei der Politik angekommen, aber die finanziellen Mittel reichen nicht aus“, so Sevelda.

Ungleichheit in der Bewertung gesundheitlicher Probleme in Österreich

Volkshilfe-Geschäftsführer Erich Fenninger hielt in einem schriftlichen Statement zum Pressegespräch fest, dass es immer noch eine Ungleichheit in der Bewertung gesundheitlicher Probleme in Österreich gebe. „Wie kann es sein, dass jedes gebrochene Bein in Österreich behandelt wird, aber bei der psychischen Gesundheit setzen wir den Rotstift an?“, fragte Fenninger. Das verletze das Recht der Kinder auf ein gesundes Aufwachsen.

Hilfswerk-Geschäftsführerin Elisabeth Anselm kam auf die Bedeutung der psychischen Betreuung von älteren Menschen zu sprechen. „Der Umgang mit körperlichen Einschränkungen sind große psychische Belastungen für ältere Menschen“, betonte Anselm. Es gelte zudem auch die pflegenden Angehörigen im Blick zu haben.

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