Gaben fließen lassen

 
von Evangelischer Pressedienst

Maria Katharina Moser über den Wert von Freiwilligenarbeit

Rosa und Karin sprechen über Wünsche. Sie würde gerne die Sterne sehen, sagt Karin. Rosa schlägt Karin vor, einen Ausflug auf eine Sternwarte zu machen. Was gar nicht so unkompliziert ist. Karin ist nämlich Rollstuhlfahrerin, und Rosa ist über 80. Rosa und Karin sind ein sogenanntes Tandem, das über das Freiwilligen-Netzwerk der Diakonie in Salzburg zusammengefunden hat. Eher ungewöhnlich an diesem Tandem ist, dass die Freiwillige, Rosa, älter ist als Karin, die begleitet wird. Da ist es gut, dass Rosa selber auf einen Freiwilligen zurückgreifen kann. Rosa wird unterstützt von Kurt, der ihr bei IT-Fragen hilft. Und Kurt hat ein Auto. Kurt sorgt dafür, dass Karin und Rosa zur Sternwarte kommen – und auf diese hinauf.

Besuchsdienst zu Hause gegen die Einsamkeit; Integrationshilfe, damit Menschen, die erst kurz in Österreich leben, sich hier zurechtfinden und gut ankommen können; Lernhilfe für Kinder und Jugendliche; Unterstützung beim Verwenden von Handy, Laptop & Co für ältere Menschen – all das wird über das Freiwilligennetzwerk organisiert.

Freiwilligenkoordinator:innen bringen Menschen zusammen, die zueinander passen, und sind Ansprechpartner:innen, wenn Fragen auftauchen. Häufig engagieren sich Menschen, die im Rahmen der Integrationshilfe begleitet wurden, später selbst als Freiwillige, erzählt Freiwilligenkoordinatorin Gabi Huber. Sie möchten etwas zurückgeben. Und Freiwillige, die Zeit schenken, fühlen sich selbst beschenkt. Die 63-jährige Hermine zum Beispiel. „Ich habe ja gedacht, ich will anderen helfen“, erzählt sie, „aber oft habe ich das Gefühl, die Freiwilligenarbeit hilft eigentlich mir.“

Freiwilligenarbeit ist nicht Geschäft und Gegengeschäft. Sie ist auch kein Versicherungsschein. Freiwilligenarbeit folgt dem Modus des Schenkens: Wir geben einem anderen, was wir ihm nicht schulden und worauf er keinen Anspruch hat, und zwar aus freien Stücken. Freiwilligenarbeit heißt, Gaben fließen zu lassen.

Ein Bild für dieses Fließenlassen der Gaben-Fülle, das sich bei Bernhard von Clairvaux (12. Jh.) findet, fällt mir ein. Er unterscheidet zwischen Kanal und Schale: „Wenn du vernünftig bist, erweise dich als Schale und nicht als Kanal, der fast gleichzeitig empfängt und weitergibt, während jene wartet, bis sie gefüllt ist. Auf diese Weise gibt sie das, was bei ihr überfließt, ohne eigenen Schaden weiter. Lerne auch du, aus der Fülle auszugießen. Die Schale ahmt die Quelle nach. Erst wenn sie mit Wasser gesättigt ist, strömt sie zum Fluss. Du tue das Gleiche! Zuerst anfüllen und dann ausgießen.“

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