Karfreitag: „Draußen zeigen, was drinnen passiert“

Evangelische und Altkatholiken halten gemeinsam inne – Klage wird vorbereitet

 
von Martina Schomaker
Für ein Miteinander: Evangelische und Altkatholiken zeigen in Wien, warum der Karfreitag so wichtig ist. Foto: Hans Schröpfer
Für ein Miteinander: Evangelische und Altkatholiken zeigen in Wien, warum der Karfreitag so wichtig ist. Foto: Hans Schröpfer

Während im Hintergrund bis Mitte Mai in der lutherischen Kirche eine Verfassungsklage gegen die Karfreitags-Neuregelung ausgearbeitet wird, zeigten am Karfreitag-Mittag Evangelische und Altkatholiken im 1. Wiener Bezirk ihren Unmut über die Neuregelung und was der Karfreitag ihnen bedeutet. Viele Medienvertreter*innen waren dabei, als die rund 500 Menschen auf der Straße in der Dorotheergasse zusammenkamen. Es war das erste Mal, dass die vier Kirchen in Wien an einem Ort gemeinsam am Karfreitag innehielten.

„Wir wollen zeigen, dass wir mit der Neuregelung nicht einverstanden sind, auch nicht mit dem Umgang mit uns als religiöse Minderheit und auch nicht mit dem immer stärkeren Abdrängen von Religion in den privaten Bereich“, begrüßte Petra Mandl alle Ankommenden in der teilgesperrten Dorotheergasse, vor der Lutherischen und Reformierten Stadtkirche. Mandl hält als Superintendentialkuratorin die höchste ehrenamtliche Leitungsfunktion der Wiener Lutheraner inne.

Direkt im Anschluss an die Vormittags-Gottesdienste machten sich Vertreter*innen aus 30 evangelischen und altkatholischen Pfarrgemeinden in die Dorotheergasse auf. Dabei trugen die Pfarrer*innen ihren Talar – auch in den U-Bahnen und Straßenbahnen. Angekommen in der Dorotheergasse klebten evangelische Jugendliche allen ein Kreuz aus Pflastern aufs Gewand – das Symbol der gemeinsamen Aktion.

Es sei kein Trostpflaster, eher ein Wundpflaster, so die 19-Jährige Hannah Rippel. „Das Kreuz aus Pflastern ist ein Zeichen dafür, dass die neue Karfreitags-Regelung uns getroffen und verletzt hat. Es wird bestimmt auch eine Narbe geben. – Aber wir machen weiter und leisten unseren Beitrag für die Wiener Gesellschaft“, sagte die Floridsdorferin, die seit Jahren in der Evangelischen Jugendarbeit ehrenamtlich aktiv ist.

„Das Pflaster-Kreuz zeigt auf der anderen Seite auch das Heilsame unseres Glaubens. Denn für uns Evangelische und Altkatholiken zeigt sich am Karfreitag die radikale Hingabe Gottes zu den Menschen. Mit dem Blick voraus auf die Auferstehung, auf Ostern, wird der Karfreitag zu dem Tag, der überwundenes Leid deutlich macht“, ergänzte Matthias Geist, der als Superintendent der geistliche Leiter der Wiener Lutheraner ist.

Gemeinsam sangen die Evangelischen und Altkatholiken auf der Straße, begleitet mit Trompete und Gitarre, „Selig seid ihr“, „Fürchte dich nicht“ und „Wo die Liebe wohnt“, aber auch „We shall overcome“. Weil der Karfreitag ein stiller Feiertag ist, habe man sich gegen eine politisch-geladene Kundgebung und für eine stillere, aber aussagekräftige Zusammenkunft entschieden.

„Wir zeigen draußen auf der Straße, was drinnen in den Kirchen passiert“, erklärte der altkatholische Pfarrer Thomas Wetschka. „Wir besinnen uns gemeinsam auf das Leiden und Sterben Christi – übrigens zum ersten Mal, dass alle vier Kirchen dies gemeinsam an einem Ort tun. Wir spüren die Hoffnung und die Kraft, die aus dieser radikalen Hingabe Gottes zu uns Menschen erwächst. Und aus dieser Kraft heraus setzen wir uns ein für unsere Mitmenschen.“

Was der Tod Jesu mit den Mitmenschen zu tun hat, erklärte Thomas Hennefeld, als Landessuperintendent repräsentiert er die reformierte Kirche österreichweit. „Wir Menschen brauchen immer einen Sündenbock. Jesus Christus soll aber das letzte Opfer, der letzte Sündenbock gewesen sein. Wer sich nun am geringsten Menschen vergreift, vergreift sich an Gott, der Menschengestalt angenommen hat. Darum setzen wir uns ein für ein Miteinander – in Frieden und auf Augenhöhe.“

Stefan Schröckenfuchs, als Superintendent repräsentiert er die evangelisch-methodistische Kirche in Österreich, ergänzte: „Das Kreuz Christi hält uns die Würde aller Menschen vor Augen – insbesondere die Würde der Schwachen und derer, die an den Rand gedrängt werden. Es ist das Zeichen einer Kultur der Barmherzigkeit und der Mitmenschlichkeit. Darum darf das Kreuz auch nicht als Waffe gegen Andersdenkende oder Andersglaubende instrumentalisiert werden.“

„Gemeinsam am Karfreitag gedenken und dabei wahrnehmen, dass Gott vertraut ist mit der Ohnmacht und auf der Seite der Armen und Schwachen steht. In sich gehen und nachempfinden, wo Menschen hier und heute meine Solidarität brauchen. Das braucht Ruhe und Zeit. Das geht nicht im Trubel und Konsumismus des heutigen Tages“, sagte die methodistische Pfarrerin Esther Handschin.

Der evangelische Theologe und Ethiker Ulrich Körtner kritisierte die Neuregelung und das Abdrängen der Religion in den privaten Bereich. „Der gekreuzigte Christus ruft uns dazu auf, Leidenden beizustehen, aber auch dazu, Leid in all seinen Erscheinungsformen entgegenzutreten. Wem es damit ernst ist, der sollte für den Karfreitag als gesetzlichen Feiertag für alle eintreten. Stattdessen hat die Bundesregierung den Karfreitag auf dem Altar wirtschaftlicher Interessen geopfert. Aber auch das erleben wir: dass man sich lautstark auf christliche Werte beruft und diese dann in Politik und Gesellschaft mit Füßen tritt.“

Körtner erntete lang anhaltenden Applaus. Sein Schlusssatz: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein“ war die Überleitung zum Symbol-Foto, das auf der Straße arrangiert wurde. Einige Plakate flankierten die Menge. Im Zentrum standen drei Leinwände, die Petra Mandl erläuterte:

  • „‘Gemeinsam leben in Wien – für ein Miteinander‘, mit dieser Leinwand sagen wir, dass unsere Kirchen einen wichtigen Beitrag für die Gesellschaft leisten. Zum Beispiel mit der Jugendarbeit oder in der Seelsorge.
  • ‚Ohne Karfreitag – kein Ostern. Seid getrost‘, hiermit sagen wir, dass der Karfreitag für uns ein sehr besonderer Tag ist. Das überwundene Leid Christi spendet uns Trost und macht uns stark für den Einsatz für andere.
  • ‚Gemeinsam leben in Wien – für ein Miteinander‘, hiermit sagen wir, dass es wichtig ist, dass es Räume für Glaubende und Sinnsuchende gibt. Die spirituelle Dimension gehört zum Menschsein dazu. Es ist wichtig für die Gesellschaft und für den Zusammenhalt der Gesellschaft, dass Religionen Teil der Gesellschaft sind.“

 

Mit einem Segen, dem gemeinsam gesungenen „We shall overcome“ und einem Applaus endete die gemeinsame Aktion.

 

Text: Martina Schomaker
Fotos: Hans Schröpfer, Michael Haberfellner, Johannes Schröpfer

Weitere Artikel

Nach Oben