Körtner: Solidarität mit den Schwachen als „Prägekraft des Christentums“

 
von Evangelischer Pressedienst

Theologe fordert in Gastkommentar Debatte über Zusammenhalt der Gesellschaft

Wien (epdÖ) – Für eine „breite Debatte darüber, was unsere kulturell und weltanschaulich plurale Gesellschaft im Innersten zusammenhält“, sprach sich der evangelisch-reformierte Theologe Ulrich H.J. Körtner in einem Gastkommentar für die „Kleine Zeitung“ vom 14. April aus. Er nahm dabei Bezug auf eine von der ÖVP in der Karwoche gestartete Debatte zur „Leitkultur“. Körtner hob hervor, dass eine Reduktion des Begriffes Leitkultur auf christliche Feiertage, Sonntagsruhe und Gipfelkreuze das Christentum entleere. Demgegenüber übersteige das Christentum, „dessen Ethik der Nächsten-, Fremden- und Feindesliebe in der Nachfolge Christi universalistisch ist“, alle kulturellen und nationalen Grenzen.

Die in der Karwoche lancierte Leitkultur-Debatte lehnt Körtner ab, zumal sie mit „Brauchtumsbeschwörung“ und einer Verkehrung ins Nationale den Kern der Sache nicht treffe. Scharf kritisierte er auch das Timing. Just am Karfreitag, „der im Zeichen des auf Golgatha errichteten Kreuzes Jesu steht“, sei das Sujet der Errichtung eines Maibaums veröffentlicht worden. „Besser kann man eigentlich kaum zeigen, wie wenig man noch mit einem jesuanischen Christentum am Hut hat“, so Körtner.

Zu den „Prägekräften des Christentums“ gehörten auch in Zeiten einer massiven Kirchenkrise „Solidarität mit den Schwachen, die es übrigens nicht nur an den Rändern der Gesellschaft, sondern auch in ihrer Mitte gibt, Achtung und Wertschätzung statt Ausgrenzung und die Beteiligung an der Suche nach dem, was dem Gemeinwohl dient“. Diese gilt es nach Ansicht Körtners zu stärken. „Wer den inzwischen vergifteten Begriff der Leitkultur vermeiden möchte, kann an dieser Stelle auch von politischer Kultur sprechen, von Orientierungsmustern für unser politisches und gesellschaftliches Handeln“, schrieb der Professor für Systematische Theologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien.

In früheren Epochen habe die Religion eine dominante Rolle gespielt. „Im sogenannten christlichen Abendland waren Kirche und Christentum die staatstragende Religion. Das hat sich in Folge von Aufklärung, Französischer Revolution und der politischen Umwälzungen der zurückliegenden beiden Jahrhunderte grundlegend geändert“, erklärte Körtner. Auch die Zeit der großen säkularen politischen Ideologien sei vorüber. „Gleichwohl bleiben auch der säkulare, demokratische Rechtsstaat und eine pluralistische Gesellschaft auf Bindekräfte angewiesen, die über die bloße Befolgung von Rechtsvorschriften und materielle Bedürfnisbefriedigung hinausgehen“, unterstrich Körtner. Vor allem die Menschenrechte, gemeinsam mit Demokratie, Laizismus, Aufklärung und Zivilgesellschaft, müssten zu einer „Hausordnung für Menschen aus verschiedenen Kulturen in einem werteorientierten Gemeinwesen“ gehören.

Menschenrechte und die unveräußerliche Menschenwürde seien „ebenso begründungsoffen wie begründungswürdig“, schrieb Körtner. Beide lebten von „Voraussetzungen, die sie selbst nicht garantieren können“, betonte er in Abwandlung eines Ausspruchs des 2019 verstorbenen deutschen Verfassungsrechtlers Ernst-Wolfgang Böckenförde.

Unbestreitbar sei allerdings, dass das Christentum einen wichtigen Beitrag zur Entstehung der modernen Menschenrechte geleistet habe. „Gläubige Christen wie der spätere Papst Johannes XXIII.“ seien Wegbereiter der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 gewesen, befand der Theologe. Auch in Zukunft habe das Christentum einen Beitrag für eine „politische Kultur im Geist der Menschenrechte“ zu leisten, ohne diese exklusiv für sich zu reklamieren.

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