Richtig jammern

 
von Evangelischer Pressedienst

Maria Katharina Moser über einen Ausdruck des Leids

„Ich möchte heute einfach nur jammern“, sage ich zu meiner Supervisorin, mit der ich schwierige Situationen in meinem Arbeitsleben reflektiere. Ich sage das nicht oft. Aber manchmal. Ich glaube, ich will mir die Erlaubnis zum Jammern holen.

Mit dem Jammer ist das nämlich so eine Sache. Jammerlappen nerven. Sie sind so negativ. Ziehen andere mit runter. Können die Stimmung zum Kippen bringen und das Klima vergiften. Und trotzdem: Es wird viel gejammert. Über das Wetter, das einmal zu heiß ist und dann wieder zu kalt. Über die lange Schlange bei der Supermarktkasse. Über die Arbeit, die zu viel ist, und die Zeit, die zu wenig ist. Über die Familie und die Regierung. Darüber, dass alles immer schlechter wird. „Das Jammern ist eine alte österreichische Kulturtechnik“, sagt der Publizist Karl-Markus Gaus. „Der Jammerer fraternisiert sozusagen mit den schlechten Zuständen; er will sie nicht ändern, bloß über sie lästern.“ Also Schluss mit Jammern?

Die Frage ist: Was tun wir eigentlich, wenn wir jammern? Wir bringen soziale Unzufriedenheit zum Ausdruck. Etwas, das schmerzt. Jammern kann helfen, negative Erlebnisse zu realisieren und sich mit anderen verbunden zu fühlen, erklärt die Psychologin Leoni Saechtling: „Wenn man in seinem Leid gesehen wird, kann man es eher loslassen.“

Leid ist das zentrale Stichwort. Jammern ist mehr und etwas anderes als lästern. Das sehen wir, wenn wir an die Wurzel des Wortes gehen: Jammern kommt vom althochdeutschen jāmar und meint Wehgeschrei, Elend, Verzweiflung. Die Bibel weiß, wie wichtig es ist, dem Leid und der Verzweiflung Ausdruck zu geben. Sie tut das in Form von Klageliedern. Die christliche Tradition weiß, wie wichtig es ist, Leid wahrzunehmen. Sie widmet dem Leid eine Gedenkwoche: die Karwoche, die mit dem heutigen Palmsonntag beginnt. Gott selbst begibt sich in Jesus Christus in die Niederungen unseres menschlichen Lebens. Durchleidet Verleumdung, Verachtung, Gewalt, Ohnmacht. Ruft am Kreuz Worte aus einem Klagepsalm: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen.“ Stirbt einen qualvollen Tod.

Vielleicht denke ich mir, jammern wir so viel und so oberflächlich, weil es uns so schwerfällt, hinzuschauen auf das Leid. Vielleicht verachten wir gleichzeitig Menschen, die jammern, weil wir nicht aushalten, dass wir nicht immer alles gleich und sofort ins Positive wenden können. Dass es leidvolle Situationen gibt im Leben, über die wir nicht verfügen können. Dass wir nicht alles in der Hand oder unter Kontrolle haben.

Wir dürfen jammern. Aber richtig. Die Karwoche schafft dafür Raum.

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