Bericht des Superintendenten - November 2017

- es gilt das gesprochene Wort -

* Das Jubiläum 50 Jahre Telefonseelsorge in Wien:

Ich bin dankbar und stolz, dass aus einer Initiative der Evangelischen Kirche in Wien, die bereits im Jahr 1964 ihren Anfang nahm, die Telefonseelsorge 1967 als ökumenische Einrichtung gemeinsam mit der Katholischen Erzdiözese gegründet wurde. Der Grundgedanke dabei war,  Menschen in akuten Krisen und schwierigen Lebenssituationen die Möglichkeit eines vertraulichen Gesprächs zu bieten – und das rund um die Uhr. Wie Bürgermeister Michael Häupl in seinem Grußwort schreibt: „Das Engagement der vielen gut ausgebildeten, ehrenamtlichen Mitarbeiter*nnen ist seit 50 Jahren ein wichtiger Beitrag zu einer aktiven Zivilgesellschaft. Die Vernetzung mit den Einrichtungen der Stadt Wien spielt eine entscheidende Rolle, damit Menschen schnellstmöglich und effizient geholfen werden kann.“  Seit 1998 ist es möglich, die Notrufnummer 142 kostenlos anzurufen. Im Jahr 2001 begann zusätzlich die E-Mail-Beratung, und seit kurzem gibt es sogar eine Chat-Beratung.

Die Anrufer*innen können immer anonym bleiben. Eine besondere Herausforderung sind die Nachtdienste von 17 Uhr bis 8 Uhr früh. Mehr als 50 Gespräche sind es durchschnittlich pro Nacht. Es ist ja auch die Zeit, in der die meisten anderen Beratungsstellen wie z.B. das Kriseninterventionszentrum geschlossen sind.

Carola Hochhauser, unsere evangelische Co-Leiterin, erzählt:

„Nächtliche Anrufe haben verschiedene Gründe: Eine alleinerziehende Mutter kann erst anrufen, wenn die Kinder im Bett sind. Ein Mann, dessen Frau vor kurzem gestorben ist, kann nicht schlafen, weil der Platz neben ihm leer ist und er mit seiner Trauer alleine ist. Eine Anruferin leidet unter Panikattacken und bittet um ein kurzes Gespräch. Ein junger Mann fürchtet sich vor seinem Bewerbungsgespräch am nächsten Tag, weil er schon so viele Absagen erhalten hat. - Wenn ich den Hörer abhebe, weiß ich nie, was mich erwartet – eine weibliche oder eine männliche Stimme; eine, die aggressiv oder eher depressiv ist;  eine Anruferin, mit der ich vielleicht schon einmal gesprochen habe, der jemand, der mir noch fremd ist. Im Gespräch am Telefon sind wir räumlich oft Kilometerweit entfernt, aber die Stimme und der Atem des Menschen kommen näher an mein Ohr, als es sonst im persönlichen Kontakt der Fall ist. Immer wieder kommt es in den Gesprächen zu einer Beziehung, die berührt und in der auch ich mich beschenkt fühle.“

Wieder einmal tief beeindruckt von der besonderen Tätigkeit der Telefonseelsorge in unserer Stadt sage ich ein herzliches DANKESCHÖN allen, die hier mitarbeiten !

 

* Der Jugendgottesdienst am Reformationstag in Floridsdorf

Von 22.30 bis Mitternacht erlebte ich in einer vollen Kirche einen tollen Abendmahlsgottesdienst unter dem Motto „Freiheit, Gleichheit Geschwisterlichkeit“. Besonders die Kleingruppengespräche zu 14 Karikaturen hat mich fasziniert. Das Thema Freiheit wurde in sehr vielen Facetten gezeigt. Als biblischer Leitgedanke wurde das paulinische Wort au dem Galaterbrief verlesen: „Zur Freiheit hat uns Christus befreit. Bleibt daher standhaft und lasst euch nicht wieder unter das Joch der Sklaverei zwingen.“ Ein besonderer Höhepunkt war die Aufnahme eines Jugendlichen, der schon länger im Jugendkeller mittut, und nun evangelisch werden wollte. Den Schluss-Segen zur mitternächtlichen Stunde möchte ich gerne zitieren: „1.Gott segnet euch. So geht mit der Einsicht, dass wir als Christ*innen Verantwortung für die Welt tragen.

2. Gott segnet euch. So geht mit der Absicht, Schranken zu überwinden und Brücken zu bauen für den Frieden, die Gerechtigkeit und eine bessere Gemeinschaft. 3. Gott segnet euch. So geht mit der Aussicht, dass wir Hass und Ungerechtigkeit nicht nötig haben, weil wir als Kinder Gottes in Freiheit leben können.“

Nach diesem Erlebnis mit jungen Menschen verspürte ich Freude und große Hoffnung für die zukünftige Entwicklung unserer Kirche !

 

        Dies wird noch verstärkt durch die von der Evangelischen Jugend Wien verbreiteten Slogans zum Reformationstag: Sie lauten u.a.:

        „INTEGRIEREN STATT IGNORIEREN

        WERTSCHÄTZEN STATT VERHETZEN

        RESPEKTIEREN STATT HASS SCHÜREN

        AUFSTEHEN GEGEN DEN KLIMAWANDEL

        BEVOR DAS KLIMA UNS VERWANDELT

  Reformier di – gspia di – ria di“

 

Ich freu mich schon auf den  30. F r i e d e n s t a g  am 6.Dezember in der Auferstehungskirche zum Thema: „Mut zur Veränderung“.

 

* 10 Jahre Kirchlich Pädagogische Hochschule (KPH) Wien/Krems

Die Tagung wurde veranstaltet unter der Überschrift:

„Nun sag, wie hast du‘s mit der relgiösen Vielfalt? Zwischen Konflikt und Kompetenz in Kindergärten, Schulen und Jugendarbeit“.

Den einführenden Vortrag hielt mit großem Engagement Regina Polak, die international bekannte praktische Theologin der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien. Sie ging aus von dem Satz „Vielfalt ist das Gesetz der Erde“, den Hannah Arendt geprägt hat. Eine religiöse Monokultur gibt es nicht mehr. Durch Mobilität und Zuwanderung ist unsere Gesellschaft längst gekennzeichnet durch Diversität. Die religiöse Pluralität ist die zentrale Herausforderung der Gegenwart, für die Menschen, die Politik und für die Religionen selbst. Diese sind ja Erinnerungs-Gemeinschaften mit ihren jeweiligen Erzählungen und Erfahrungen. Beides ist notwendig: das Lernen, doch ebenso das Ent-Lernen. Der Einsatz für Gerechtigkeit und Gleichheit wird gehemmt durch  die Sorge um das Verlieren, durch Angst, Hass und Neid, welche vor allem bei Männern zu beobachten sind. Dringend erforderlich ist eine Anerkennung des Fremden, eine Transformation und Versöhnung mit den Unterschieden, was letztlich zu einem Heilungsprozess für alle führt.

 

        Ein herausragendes Beispiel lernten wir – im Rahmen der Arbeitsgruppe „Campus der Religionen“ - erst vor wenigen Tagen kennen:  Das HAUS DER RELIGIONEN  -  DIALOG DER KULTUREN in Bern.

Was uns die vier Gäste aus der Schweizer Hauptstadt erzählten, war mehr als erstaunlich. Seit 2014 leben fünf Weltreligionen unter einem Dach. Damit setzen sie ein einzigartiges Zeichen für den interreligiösen Dialog.

Die Nähe zueinander in einem Gebäude erzeugt Neugier und Toleranz.

Man kann sich nicht aus dem Weg gehen, nicht ausweichen. So ist auch immer wieder Streit und Konflikt alltäglich. Dadurch – so betonte Geschäftsleiter David Leutwyler – bleiben sie am Leben und entwickeln sich weiter. In unterschiedlichen Phasen der Realisierung dieses Projekts gab es heftige Krisen bis hin zur Möglichkeit des Scheiterns, doch immer wieder erlebten die teilnehmenden Aktiven echte Wunder, vor allem auch durch eine unerwartete Großspenderin und andere Unterstützer*innen.

Das Haus der Religionen ist eine Art dynamische Ideenwerkstatt, in der daran herumgetüftelt wird, wie es möglich ist, der neuen kulturellen Zusammensetzung der Gesellschaft Rechnung zu tragen.

        Diese Begegnung mit Vorreitern der Zukunft hat nicht nur bei mir einen tiefen und ermutigenden Eindruck hinterlassen !

 

* Ein erstes Buch zur Lage nach dem Reformationsjubiläum

Der Titel des Buchs „Aufbruch oder Katerstimmung ?“ von Christoph Markschies, Professor an der Humboldt-Universität in Berlin hat mich neugierig gemacht. Im Nachwort schreibt der Autor:

„Man kann durchaus sagen, auch aus eigener Erfahrung, dass das Reformationsjubiläum vielen als eine Art Sprungbrett gedient hat, den Glauben neu zu entdecken oder sich vom Glauben entdecken zu lassen.

Ab 2018 muss der Bildungsimpuls entschlossen und den Bedingungen einer weitgehend pluralisierten Gegenwart angepasst umgesetzt werden. Das Evangelium gilt allen Menschen. In einer Welt, die wieder neu von Nationalismus, Intoleranz und Populismus geprägt wird, sind die feinen reformatorischen Differenzierungen ein Beitrag zur Bildung der ganzen Gesellschaft. Es zeigt sich, ob Menschen im Grunde ihres Herzens pessimistisch oder optimistisch veranlagt sind. Der Optimist wird beflügelt vom Reformationsjubiläum in die kommenden Jahre aufbrechen. Er erinnert den Pessimisten daran, dass man etwas wagen muss für Dinge, die einem wichtig sind.“

        Ich schließe mich diesem Optimisten an, denn das Abenteuer unseres Lebens bleibt immer ein Wagnis, ein Risiko. Ulrich Körtner hat vor einigen Jahren ein Buch veröffentlicht mit dem Titel „Riskanter Glaube“.

Und MARTIN WALSER hat einmal formuliert:„Es gibt nicht nur die Gefahr, dass du zu viel riskierst, es gibt auch die Gefahr, dass du zu wenig riskierst. Man muss immer nur den nächsten Schritt tun. Mehr als den nächsten Schritt kann man überhaupt nicht tun. Wer den nächsten Schritt nicht tut, obwohl er sieht, dass er ihn tun könnte, tun müsste, der ist feig. Der nächste Schritt ist nämlich immer fällig. Er ist nie ein großes Problem. Man weiß ihn genau. Er kann ein bisschen gefährlich werden. Aber wenn du ihn tust, wirst du dadurch, dass du erlebst, dass du ihn dir zugetraut hast, auch Mut gewinnen. Gerade das Erlebnis, dass du einen Schritt tust, den du dir nicht zugetraut hast, gibt dir ein Gefühl der Stärke. Dem Gehenden schiebt sich der Weg unter die Füße.“

Ja, diese Erfahrung wünsche ich auch uns, den Evangelischen in Wien !

 

Lassen wir uns vom Apostel Paulus zusagen:

„Gott, die Quelle aller Hoffnung, erfülle euch in eurem Vertrauen mit aller Freude und Frieden, dass ihr von Hoffnung überfließt durch das Wirken der heiligen Geistkraft.“     (Römerbrief 15,13)

 

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