Thema: Reformation

Reformator Martin Luther - als große Playmobil-Figur - in der Gustav-Adolf-Kirche in Gumpendorf. Foto: Evangelische Diözese A.B. Wien

Reformator Martin Luther - als große Playmobil-Figur - in der Gustav-Adolf-Kirche in Gumpendorf

Am 31. Oktober erinnern wir, dass 1517 Martin Luther an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg (Deutschland) seine 95 Thesen angeschlagen haben soll. Die mit den Thesen ausgelöste theologische Grundsatzdiskussion führte zum Rechtsstreit und schließlich zur Kirchenspaltung: zur Geburtsstunde der Evangelischen Kirche.

Lesen Sie auf dieser Seite:

  • worum es Martin Luther ging (Text Stefan Alkier),
  • wie die Reformation heute in der Evangelischen Kirche weiter wirkt (Interview mit Wilfried Engemann)
  • dass in Wien von 1520 bis 1600 der Adel und das Bürgertum überwiegend evangelisch waren
  • für die schnellen Leser*innen: Ganz unten finden Sie ein Video, das die Reformation in zwei Minuten erklärt

 

Gemeinsam Reformation feiern: Konzert- und Theatergottesdienst am Abend

Herzliche Einladung zu den beiden Wien-weiten, gemeinde-übergreifenden Abendgottesdiensten um 19 Uhr.
Mit viel Musik in der Lutherischen Stadtkirche und viel Theater in der Pauluskirche. Klicken Sie hier:

Reformation im Radio und TV feiern

Am 31. Oktober um 10.05 Uhr überträgt Ö1 im Radio sowie ORF III im TV den Reformationsgottesdienst aus der Evangelischen Kirche in Klosterneuburg.Es predigt Bischof Michael Chalupka über die Seligpreisungen. Musikalisch begleiten den Gottesdienst der Chor und das Instrumentalensemble des Instituts für Orgel, Orgelforschung und Kirchenmusik der Universität für Musik und darstellene Kunst Wien.

 

Reformation feiern: am Vormittag in Ihrer Gemeinde

Hier finden Sie alle Gottesdienste ins Wien auf einen Blick: Gottesdienstkalender

Im 18. Bezirk schaut Martin Luther vom Turm der Lutherkirche auf Wien. Foto: Thomas Mayer-Egerer

Im 18. Bezirk schaut Martin Luther vom Turm der Lutherkirche auf Wien. Foto: Thomas Mayer-Egerer

Reformationstag: Was es am 31. Oktober zu feiern gibt?

Stefan Alkier, Professor für Neues Testament, über Reformation, Luther und die Bibel

Am 31. Oktober erinnern wir die Veröffentlichung der berühmten 95 Thesen Dr. Martin Luthers. Zunächst einmal ging es Luther um den Missbrauch des Ablasswesens. Konnte man sich den Erlass, die Vergebung von Schuld erkaufen? Luthers klare Position war ein Nein, denn allein Gottes Gnade vermag den freizusprechen, der sein Leben in der Solidarität der Geschöpfe und damit seinen Weg mit Gott, dem Schöpfer, verfehlt.

Aus dem Gelehrtenstreit um die Ablassthesen Luthers wurde schon sehr bald ein Rechtsfall. Luther wurde vom Papst dazu aufgefordert, seine Thesen zu widerrufen. In diesem Zusammenhang formuliert Luther eine umstürzende Einsicht, die nicht das eine oder andere Glaubensthema betrifft, sondern so sehr ins Grundsätzliche geht, dass man von einer epochalen Wende in der Geistesgeschichte mit eminenten politischen Auswirkungen zumindest in Europa sprechen muss. Luther erkennt: jeder muss interpretieren und jeder kann interpretieren, sofern er es mit dem „Geist der Urteilskraft und der Leidenschaft“ (Luther, assertio, Vorrede) vollzieht. Diese revolutionäre Einsicht, dass man Niemandem das eigene Auslegen abnehmen kann, ist es, die nicht nur Luthers Übersetzung der Bibel ins Deutsche motivierte, sondern die eigentliche Kraft der Reformation bis auf den heutigen Tag darstellt. - Die Reformation hat zur Religionsmündigkeit und damit zur freiheitlichen Gesellschaft maßgeblich beigetragen. Recht verstanden bietet es sogar noch mehr: ein Modell für einen qualifizierten Pluralismus, der nicht in subjektiver Beliebigkeit versinkt.

Was es am 31.10. 2017 zu feiern gibt? Religionsmündigkeit, Institutionenkritik, qualitativen Pluralismus und die Wiederentdeckung der großen Geschichte der Bibel als Lebensbuch: „Nimm und lies“ (Augustinus) und lass dich ergreifen von dieser wundervollen Geschichte - denn die Bibel, das ist die große Geschichte von Gott und seinen Geschöpfen, vom Anfang bis zum Neuanfang. Ich lade ein, sich da hineinzulesen, hineinzudenken, sich als Teil dieser noch offenen Geschichte verstehen zu lernen.

Zum Autoren: Dr. Stefan Alkier hat 207 als Professor für Neues Testament an der Evangelischen Fakultät der Goethe-Universität Frankfurt am Main, diesen Text geschrieben .Außerdem trat er im Mai 2017 als Gitarrist der „Nacht der Bibel“ in der Auferstehungskirche in Wien-Neubau auf. Alkier hat die „Nacht der Bibel“, die die Bibel als eine Gesamterzählung erschließt, inhaltlich wie musikalisch komponiert.

Reformation heute: Glauben als Quelle eines guten Lebensgefühls

Ein Interview mit dem Praktischen Theologen Wilfried Engemann

evang-wien.at: Ist die Reformation nicht längst Geschichte, Herr Engemann?
Wilfried Engemann: Natürlich – aber ihre Wirkung ist nicht passé.

evang-wien.at: Welche Wirkung meinen Sie?
Wilfried Engemann: Die Neuinterpretation des Glaubens als eine Lebensart, die auf Freiheit und Liebe basiert. Mit der Erfahrung von Freiheit kommt das Gefühl von Weite ins Leben, mit der Liebe die Tiefe. Ohne Freiheit erfahren wir unser Leben als eng und bedrückend, ohne Liebe ist es flach und banal. Glaubende sollen mit einem guten Lebensgefühl leben – was einer positiven Gesamtbewertung des eigenen Lebens gleichkommt, und nichts mit oberflächlichem Wohlgefühl oder Gemütlichkeit zu tun hat.

evang-wien.at: Wie zeigt sich dies?
Wilfried Engemann: Der Gottesdienst zum Beispiel bedeutet erstmals Gottes Dienst für Menschen. Die Messe ist keine Dienstleistung für eine milde zu stimmende Gottheit mehr. Die Struktur der Messe wurde abgeändert, so dass sie unmissverständlich die Versöhnung des Menschen mit Gott, mit sich selbst (Schluss mit einem ewig schlechten Gewissen!) und die sich daraus ergebenden Möglichkeiten eines erfüllten Lebens widerspiegelt. Durch die Reformation gilt die Frage, was ein Mensch vom Glauben hat und nicht mehr, was er für ihn tun muss.

evang-wien.at: Was hat ein Mensch vom Glauben?
Wilfried Engemann: Ein Priester oder Pfarrer hat seine Arbeit dann getan, wenn die Menschen einen Begriff davon haben, was das Ganze für sie selbst bedeutet: wenn sie damit anfangen, ihren Glauben für ihre Freiheit in Anspruch zu nehmen. Dabei geht es um mehr als um die Freiheit von Sünde, Tod und Teufel. Es geht auch um Freiheit im Führen eines eigenen, selbstbestimmten Lebens. Ein Leben, in dem um der Freiheit willen „protestiert“ werden darf und muss, wenn das eigene Gewissen korrumpiert wird, wenn ein Mensch Ja sagen soll und Nein denkt. Dies führt zu innerer Zerrissenheit, macht ängstlich, führt zu einem dumpfen Lebensgefühl. Glauben soll helfen, ein „stimmiges“ Leben zu führen, Verantwortung für sein „stimmiges“ Leben zu übernehmen und im Einklang mit seinen Einsichten und Gefühlen zu handeln.

evang-wien.at: Glaube stärkt den Menschen?
Wilfried Engemann: Genau. Ich glaube, ohne diese protestantische Neuinterpretation des Glaubens als Ressource eines leidenschaftlichen Lebens hätte es zum Beispiel die ganz besondere Geschichte der Geheimprotestanten in Österreich wohl nicht gegeben, die selbst unter Androhung von Gewalt und unter der Erfahrung von Verfolgung in Vertreibung nicht bereit waren, von einem solchen Glauben abzurücken.

Weitere Information: Univ.-Prof. Dr. Wilfried Engemann ist Praktischer Theologe an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien. Einen Essay zum Thema hat Wilfried Engemann im Buch „So evangelisch ist Wien“ geschrieben.

Das Wiener Stubentor, ein Gemälde nach Franz Poledne. Dort wurde Balthasar Hubmaier (siehe Foto unten) hingerichtet. Foto: Wikimedia/Franz Poledne

Das Wiener Stubentor, ein Gemälde nach Franz Poledne. Dort wurde Balthasar Hubmaier (siehe Foto unten) hingerichtet. Foto: Wikimedia/Franz Poledne

Ein Blick in die Geschichte: Die Reformation in Wien

Für die katholischen Habsburger, die über 400 Jahre die Erbländer und die Donaumonarchie entscheidend geprägt und über weite Strecken eine Symbiose mit dem Katholizismus eingegangen sind, war der protestantische Glaube anfänglich attraktiv. Gerade zu Beginn der Reformation lief nicht nur die Stadt Wien fast einheitlich zur "neuen Lehre" über, auch Maximilian II. hatte einen protestantischen Hofprediger - Sebastian Pfauser - und hörte diesem in seiner Augustinerkirche zu. Am Sterbebett nahm er das Abendmahl in beiderlei Gestalt - ein Ausdruck protestantischer Gesinnung. Von 1520 bis 1600, also zwei Generationen lang, war der Adel und Wiens Bürgertum evangelisch. Zu Tausenden gingen oder fuhren sie sonntags in die umliegenden Adelsgüter nach Hernals, Inzersdorf, Rodaun und Vösendorf, um eine evangelische Predigt zu hören und einen evangelischen Gottesdienst zu besuchen. - Dann setzte die "Gegenreformation" ein.

Video: Reformation in 2 Minuten erklärt

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