Cathrin Kahlweit: Demokratische Errungenschaften „mit allen Mitteln verteidigen“

 
von Evangelischer Pressedienst

Journalistin spricht sich bei Toleranzgesprächen für Sozialstaat und Wehrpflicht aus

Villach/Fresach (epdÖ) – In ihrer Rede zur Eröffnung der Europäischen Toleranzgespräche 2025 am 5. Juni im Kärntner Bergdorf Fresach pochte die deutsche Autorin und Journalistin Cathrin Kahlweit auf die Notwendigkeit, die demokratischen Errungenschaften der Nachkriegsära mit allen Mitteln zu verteidigen. Bei der unter dem Titel „Staatsführung – der ganz normale Wahnsinn“ stehenden Veranstaltung sprach sich Kahlweit für eine außen- und sicherheitspolitische Aufrüstung gegen innere und äußere Feinde ein.

„Wenn der Rechtsstaat nicht mehr funktioniert, dann verschwindet das Vertrauen der Bürger in den Staat und die Wirtschaft und die Zukunft, und am Ende bleiben alle, Eliten und normale Bürger, Opfer der Willkür eines wankelmütigen Absolutismus“, betonte die langjährige Korrespondentin der Süddeutschen Zeitung in London, Wien und Kiew. Diese Botschaft gehe auch an jene Wirtschaftsvertreter in Österreich, die glaubten und glauben, mit den Rechtsextremen als Erfüllungsgehilfen ließe sich prächtig Geld verdienen, egal ob diese den Rechtsstaat gern nach ihrem eigenen Gusto auslegen oder zerschlagen wollen.

Rezepte gegen den Wahnsinn der Gegenwart in Politik und Wirtschaft habe sie keine, aber sie glaube an den guten, alten Sozialstaat als Stabilisator der Demokratie. Kahlweit zeigte sich überzeugt, dass Vermögens- und Erbschaftssteuern sinnvolle Erfindungen sind, und dass man eher mit Verteilungsgerechtigkeit und Geschlechtergerechtigkeit Wähler erreicht als mit Hass auf Migranten.

„Tax the rich“ sei das Gebot der Stunde angesichts einer polarisierten Welt, in der die reichsten 10 Prozent der Weltbevölkerung 83 Prozent des weltweiten Vermögens besitzen und die Schere weiter aufgehe – und in der die reichsten zehn Prozent zwei Drittel der Erderwärmung verursachen, betonte Kahlweit.

„Demokratien muss man nach innen und nach außen verteidigen. Heute, 44 Jahre nach der Friedensdemo im Bonner Hofgarten gegen die Stationierung amerikanischer Pershing-Raketen, bei der die Existenz sowjetischer SS20-Raketen seltsamerweise keine Rolle spielte, bin ich für die Wiedereinführung der Wehrpflicht in Deutschland, für eine europäische Armee, für gemeinsame Rüstungsanstrengungen. Und für eine effektive, dauerhafte, solidarische Unterstützung der von Russland angegriffenen Ukraine. Whatever it takes“, so Kahlweit.

Sauer: „Aufmerksamkeit und Achtsamkeit” gegen den Wahnsinn

Von der „Aufmerksamkeit und Achtsamkeit als Heilmittel gegen den Wahnsinn in unserer Welt“ sprach Manfred Sauer, Superintendent der Diözese Kärnten und Osttirol, bei der Eröffnung der Toleranzgespräche. Dies sei ein „möglicher therapeutischer Ansatz oder doch illusionistische Wunschvorstellung. Ich bin überzeugt davon, dass Aufmerksamkeit und Achtsamkeit zwei sehr entscheidende Verhaltensweisen sind, die bei entsprechender Anwendung und Lebenshaltung eine heilsame Wirkkraft entwickeln“, betonte Sauer.

Zur Aufmerksamkeit gehöre die „Kunst des Zuhörens, Hinschauens, Nachfragens“ sowie „die Bereitschaft, sich tiefgehender mit Entwicklungen und Strömungen unserer Gegenwart auseinanderzusetzen und damit ein Gegengewicht zur Dynamik der Beschleunigung zu setze – Nachrichten auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen, nicht zu schnell zu urteilen, einander aufmerksam zuzuwenden und wachsam hinter die Kulissen zu schauen“, erklärte Sauer. „Die Toleranzgespräche bieten ein solches Forum. Aufmerksamkeit und Achtsamkeit, das wünsche ich mir für die so unsicher und nervös gewordene Welt. Aufmerksamkeit und Achtsamkeit in der gemeinsamen Verantwortung füreinander und für die Welt; denn daraus wachsen Hoffnung und Zuversicht, die wir dringend nötig haben, weil sie den Zauber des Möglichkeitssinns beflügeln und unsere Phantasie anregen“, so der Superintendent.

Die Toleranzgespräche 2025 dauern noch bis Samstag, 7. Juni. Alle Diskussionen und Vorträge werden live gestreamt und im Anschluss als Aufzeichnung frei verfügbar sein. Das detaillierte Programm finden Sie hier.

Weitere Artikel

Nach Oben