"Der Einsatz für Menschenwürde, Religionsfreiheit und Diversität ist gefragt"

Rede des Superintendenten zur Vergabe des Großen Goldenen Ehrenzeichens der Republik Österreich

 
von Martina Schomaker
Superintendent Hansjörg Lein
Superintendent Hansjörg Lein

Im Anschluss an seine Danksagung an den Stadtrat Christian Oxonitsch, an den Ministerialrat Karl Schwarz für seine Laudation, an die Magistratsdirektion/die Präsidialabteilung sowie die Mitarbeitenden in der Ehrenzeichenkanzlei, an die Musizierenden bei der Feier, an "alle, die mit ihrem Erscheinen ihre Wertschätzung zum Ausdruck bringen" und nach der Ankündigung, seine Rede habe sechs Punkte und der erste sei hiermit bereits abgehakt, sprach Superintendent Hansjörg Lein :

" Punkt 2 : Danke auch an den Architekten dieses wunderschönen Gebäudes: 

Es ist Friedrich Schmid t, der Sohn eines protestantischen Pfarrers in Württemberg, dessen preisgekröntes Projekt des Jahres 1869 vierzehn Jahre später -1883 – fertiggebaut war. Dieses Wiener Rathaus fasziniert seither die Menschen dieser Stadt und wohl alle, die hierher kommen und es in seiner Pracht bewundern und bestaunen.  Dank sei allen, die es mit ihrem Können und ihrer Hände Arbeit damals errichtet und bisher erhalten haben!

Ein Blick in die Geschichte zeigt uns übrigens, dass nur ein einziger Bürgermeister von Wien ein Protestant war, nämlich  Christoph Hutstocker .

Er regierte nur kurz: in den Jahren 1576 bis 1577. Der Grund dafür: das protestantische Leben wurde verboten, obwohl 80 Prozent der Bevölkerung durchaus protestantisch gesinnt war ….Ab 1585 war sogar das Bürgerrecht an den römisch katholischen Glauben gebunden. Erst mit dem Toleranzpatent Kaiser Joseph II. Im Jahr 1781 hat sich das wesentlich zu verändern begonnen.

Ja, das Gedächtnis der Stadt hat das bewahrt.

Dieses Gedächtnis hat allerdings noch viel Schlimmeres und wirklich Unfassbares gespeichert: wie mit der jüdischen Bevölkerung umgegangen wurde und zu welcher Katastrophe der Antisemitismus geführt hat. Noch heute – und auch in Zukunft - müssen wir daran arbeiten, dieses Gedächtnis nicht dem Verschweigen oder gar Vergessen anheim fallen zu lassen.

Theologisch gesprochen heißt das: Gott ist Gedächtnis und bei ihm sind alle Gräuel der Geschichte gespeichert, die Namen aller Menschen dieser Stadt in das Buch des Lebens geschrieben.

Punkt 3 : Ich bekomme heute ein Ehrenzeichen der Republik Österreich.

Nun, dazu muss man wissen, dass ein Bundesgesetz des Jahres 1952 die Grundlage für diese Verleihung ist. Mit meinem Geburtsdatum im Oktober 1953 gehöre ich genau jener Generation an, die in ihrer Kindheit das Werden des österreichischen Staates nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges miterlebt hat.

Ich erinnere mich noch gut an den „Tag der österreichischen Fahne“,den wir jährlich am 26.Oktober in der Volksschule mit selbstgebastelten rot-weiß-roten Fähnchen und dem Singen der Bundeshymne gefeiert haben. Diese Fahne war das Symbol für die Parole „Freiheit, Einheit, Unabhängigkeit“ seit 1955, dem Jahr, in dem zunächst der Staatsvertrag im Wiener Belvedere unterzeichnet wurde und ein halbes Jahr später dann die vier Besatzungsmächte nach 10 Jahren endlich abgezogen sind.

In diesem Klima des Aufatmens und der neuen Freiheit sind wir also aufgewachsen. Voller Stolz auf diese neue, zweite Republik. So ist mein Verhältnis zu dieser Bundesrepublik Österreich bis heute ein positives und inniges, wenn auch in manchen Situationen ein durchaus kritisches.

Wahrlich schockiert haben mich – wie viele andere  -  politische Äußerungen, dieser Staat sei eine „Missgeburt“ der Geschichte!

Meine Hochachtung gilt allen, die von 1933 bis 1945 für ein demokratisches Österreich gekämpft und im faschistischen bzw. nationalsozialistischen Regime ihr Leben gegeben haben. Ihr Opfer sei unvergessen!

Punkt 4 : „Ehre, wem Ehre gebührt“ - so heißt es, so hören wir es, so sagen wir es vielleicht selber. Wussten Sie, dass dies ein waschechtes Bibelzitat ist?

Im Brief des Apostel Paulus an die Christen in Rom lesen wir (ich zitiere die Luther-Übersetzung): „So gebt nun jedem, was ihr schuldig seid: Steuer, dem die Steuer gebührt;  Zoll, dem der Zoll gebührt;  Ehre, dem die Ehre gebührt.“ (Römerbrief 13, Vers 7) Und was singen wir in unseren Gottesdiensten, gleichsam mit den himmlischen Engels-Chören: „Ehre sei Gott in der Höhe!“ Einen Menschen zu ehren oder gar zu verehren, ist also aus biblischer Sicht eine heikle Sache … Von Jesus aus Nazareth wird jedenfalls überliefert, dass er sämtlichen Jubelrufen durch die  Bevölkerung sehr reserviert gegenüber stand.

Nun kennen wir in unserem kirchlichen Umfeld den Begriff des „Ehrenamtes“. Gerade unsere evangelischen Kirchen in Österreich haben ein ausgeprägtes und für unser Selbstverständnis unerlässliches Verhältnis zu den ehrenamtlich Tätigen in den Gemeinden, auf allen Ebenen unserer Kirchen. Wir leben und arbeiten als Haupt- und Ehrenamtliche auf Augenhöhe. Das bedeutet: in alle Leitungsfunktionen wird paritätisch gewählt.  In der Superintendenz Wien ist es an meiner Seite die Superintendentialkuratorin Univ.-Prof. Dr. Inge Troch.

Wir verstehen uns als Mitarbeiterinnen / Mitarbeiter Gottes: die / der eine beginnt etwas aufzubauen, die / der andere baut darauf weiter auf. In einem anderen Bild des Paulus gesprochen: die einen pflanzen, andere begießen. Alle tun und bewirken das ihre -  Gott allein gibt Blühen und Gedeihen.

So verstehe ich dieses Ehrenzeichen heute als Wertschätzung gegenüber der Evangelischen Kirche A.B. in Wien, als Auszeichnung einer konstruktiven Zusammenarbeit, als Dank an alle, die mit ihrem protestantischen Engagement zum Wohl der Menschen in der Bundeshauptstadt Entscheidendes beitragen - wie z.B. für Kinder und Jugendliche durch Kindergärten, Horte und Schulen. Ich nehme es als Anerkennung für Toleranz und Dialog, für diakonisches Wirken zugunsten der  Armen sowie von Menschen mit Behinderung, ebenso für  den Einsatz in der Flüchtlingshilfe.

Ich nehme es als sichtbares Zeichen dafür, dass der österreichische Staat und das Bundesland Wien wohlwollend wahrnehmen, was evangelische Christen für die Gesellschaft leisten.  Besonders im Schmelztiegel, den die Donaumetropole darstellt, ist der Einsatz für Menschenwürde, Religionsfreiheit und Diversität gefragt. Nur in der gegenseitigen Achtung kann Demokratie und Friede in Zukunft gewahrt und gefördert werden.

 
Punkt 5 : Abschließend möchte ich noch einmal besonders danken, den vielen Menschen, die mich in meinem Leben begleitet haben und ohne die ich heute nicht hier stehen würde:

- meiner Mutter, die in wenigen Tagen ihren 102.Geburtstag hätte. Sie hat mir   Nächstenliebe und Diakonie vorgelebt hat.

- meinem Vater, der mir als Pfarrer diesen wunderbaren Beruf gezeigt hat.

- meinen Lehrerinnen und Lehrern von der Volksschule bis zur Universität.

- meiner großen und schönen Lehrerin, der BIBEL.

- meinen Schülerinnen und Schülern, deren Fragen mir wichtig waren.

- meiner lieben Familie, vor allem meiner Frau Johanna, die mich seit 30 Jahren

  durch Höhen und Tiefen begleitet.

-  meinen befreundeten Weggefährten seit der Studienzeit, speziell in der Zeit

  der „Salzburger Gruppe“, jener kritischen Aktionsgemeinschaft für Kirche

  und Gesellschaft.

- der Gemeinde in Floridsdorf, in der für mich als Pfarrer so vieles möglich war.

- meinen Kolleginnen und Kollegen im Pfarramt

- meinem gesamten Team und Leitungsgremium in der Superintendentur Wien.

- meiner Kirche als Gesamtheit in ökumenischer Verbundenheit mit anderen.

Danken möchte ich aber auch all jenen, durch deren Kritik, Widerspruch, Konflikte und Sorgen ich herausgefordert bin. Sie helfen mir beim Verstehen und Bewältigen von Krisen. Danke möchte ich allen, die ich seelsorgerlich und brüderlich begleiten durfte. Und den vielen Menschen, mit denen ich lachen und feiern konnte und kann.

Punkt 6 : Zum guten Ende meiner Rede ein Text von der so geschätzten evangelischen Theologin und Mystikerin Dorothee Sölle:

„Nicht du sollst meine Probleme lösen,

sondern ich deine, Gott der Asylanten.

Nicht du sollst die Hungrigen satt machen,

sondern ich soll deine Kinder behüten

vor dem Terror der Banken und Militärs.

Nicht du sollst den Flüchtlingen Raum geben,

sondern ich soll dich aufnehmen,

schlechtversteckter Gott der Elenden.

Du hast mich geträumt Gott,

wie ich den aufrechten Gang übe

und niederknien lerne,

schöner als ich jetzt bin,

glücklicher als ich mich traue,

freier als bei uns erlaubt.

Hör nicht auf mich zu träumen, Gott.

Ich will nicht aufhören mich zu erinnern,

dass ich dein Baum bin,

gepflanzt an den Wasserbächen

des Lebens.“

Ich sage DANKE fürs aufmerksame Zuhören!

 

Text: Hansjörg Lein

Fotos: epd/Uschmann

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