Raum für das Ungeplante
Julia Schnizlein über Erwartungen, denen allzuoft Enttäuschungen folgen
Der Advent beginnt und mit ihm die Zeit, von der viele behaupten, sie sei die schönste im ganzen Jahr. Und genau das setzt die Messlatte ziemlich hoch. Denn „schönste Zeit“ bedeutet vor allem eines: Erwartungen.
Erwartungen an uns selbst, an die Stimmung, an das Gelingen. Wir sollen fröhlich sein, besinnlich, gelassen – und bitte alles gleichzeitig. Wir sollen die Adventzeit genießen, uns ja nicht von der Hektik mitreißen lassen, Adventmärkte besuchen – vorzugsweise bei sanftem Schneegestöber. Wir sollen die passenden Geschenke finden, das harmonische Fest inszenieren und den perfekten Moment kreieren. Und wehe, ein Kind packt unter dem Baum ein Päckchen aus und sagt: „Aber ich hab mir doch was ganz anderes gewünscht…“
Erwartungen sind wie unsichtbare Drehbücher, die wir im Kopf schreiben, ohne der Wirklichkeit eine Rolle zu gönnen. Und wenn das Leben sich nicht an diese Drehbücher hält, was es selten tut, dann nennen wir das Enttäuschung. Vielleicht sind also nicht die Realität oder der Trubel die eigentlichen Stimmungskiller, sondern unsere Vorstellungen davon, wie alles zu sein hat. Erwartungen machen eng. Sie lassen keinen Raum für Überraschung, für den gnädigen Blick. Und sie lassen uns vergessen, dass das Leben nicht in unserer Hand liegt – und dass gerade diese Unverfügbarkeit auch eine Einladung sein kann.
Denn die schönsten Geschenke, die magischsten Momente, entstehen selten aus dem, was wir geplant haben, sondern aus dem, was uns ganz unverhofft erreicht. Nicht berechenbar, nicht verdient, sondern geschenkt. Ein schlichtes: „Ich hab an dich gedacht.“ Ein beruhigendes: „Alles ist gut.“ Ein überraschendes: „Ich komme doch.“ Oder ein liebevolles: „Ich liebe dein Chaos.“
Auch die Weihnachtsgeschichte erzählt nicht von Perfektion, sondern von einem ungeplanten Moment: einer Geburt im Stall, zur falschen Zeit, am falschen Ort – und doch voller Wärme und Licht.
Die „schönsten Zeiten“ brauchen keine perfekten Bedingungen. Sie entstehen dort, wo wir das Steuer für einen Moment aus der Hand legen und dem Leben zutrauen, dass es uns Gutes zuträgt. Die Adventwochen laden uns genau dazu ein: Das Erwartete loszulassen und das Staunen wiederzufinden.