Die Handtasche

 
von Evangelischer Pressedienst

Michael Chalupka über Weichenstellungen in stillen Momenten

Die Osternacht wird für mich immer mit einer Frau und einer großen weißen Handtasche verbunden bleiben. In meiner kleinen Gemeinde, die ich als junger Pfarrer begleiten durfte, war die Osternacht ein Höhepunkt. Die Gemeinde zog dreimal um die dunkle Kirche, fand schließlich Einlass, nach und nach erhellten Kerzen die Dunkelheit, und der Klang der Orgel wurde deutlicher. Die Feier der Auferstehung Jesu begann gerade, als ich die Frau mit der großen weißen Handtasche auf ihrem Schoss das erste Mal wahrnahm. Ich hatte sie zuvor noch nie gesehen.

Im Anschluss wurde um Mitternacht im Pfarrgarten das Osterfeuer entzündet, die Gemeindeglieder versammelten sich um die traditionelle Osterjause mit Schinken im Brotteig. Die Frau war mitgekommen. Ich kann mich nicht erinnern, dass sie mit jemandem an diesem Abend gesprochen hätte. Doch ab diesem Tag sah ich sie immer wieder in den Gottesdiensten, sie brachte ihren Mann mit, und die Tasche war immer dabei.

Nach und nach wuchs sie in die Gemeinschaft. Die Feier der Auferstehung schien sie berührt zu haben. Oft geschehen neue Weichenstellungen im Leben in stillen Momenten und brauchen keine großen Worte. Als ich die Pfarrstelle wechselte, habe ich die Frau und ihren Mann aus den Augen verloren. Doch in jeder Osternacht muss ich an sie denken. Wir Christen glauben ja, dass Jesus für uns gestorben und auferstanden ist von den Toten. Für sie und jeden einzelnen unter uns.

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