Chalupka bei Mauthausen-Gedenken: Menschenrechte nicht antasten

„Sind verpflichtet, uns an das Leiden der Opfer zu erinnern“
Linz (epdÖ) – „Wenn heute die universale Geltung der Menschenrechte in Frage gestellt und das Völkerrecht mit Füßen getreten wird, können wir nicht schweigen.“ Das betonte der evangelisch-lutherische Bischof Michael Chalupka beim traditionellen ökumenischen Gottesdienst im Rahmen der Mauthausen-Gedenkfeier. An der Seite Chalupkas gedachten der römisch-katholische Linzer Diözesanbischof Manfred Scheuer und der griechisch-orthodoxe Bischofsvikar Ioannis Nikolitsis bei dem Gottesdienst.
In seiner Predigt am Sonntagvormittag, 11. Juni, in der KZ-Gedenkstätte sagte Chalupka, die vor 80 Jahren beendete Barbarei des NS-Regimes habe auch zu der Erkenntnis geführt: Es reicht nicht aus, die Grund- und Menschenrechte eines Volkes allein der betreffenden nationalen öffentlichen Gewalt anzuvertrauen. Deren internationale Verankerung im Völkerrecht erfolgte 1945 mit Gründung der Vereinten Nationen, erinnerte der Bischof. Mit Blick auf die 190.000 in Mauthausen inhaftierten Menschen unterschiedlicher Nationen und Religionen mit mindestens 90.000 Ermordeten wies er darauf hin, dass das oberösterreichische KZ in einem Umstand hervorstach: „In Mauthausen war an Gott zu glauben und seinem Glauben auch Ausdruck zu verleihen, selbst schon Widerstand und ein Grund, ermordet zu werden.“ Offensichtliches Gebet, Gottesdienst, jede Form religiöser Betätigung war verboten, es durfte kein Anzeichen einer religiösen Hoffnung geben.
„O Haupt voll Blut und Wunden“
Dabei habe die Grausamkeit kein Maß gekannt und jede Vorstellungskraft gesprengt, sagte der evangelische Bischof, und zitierte den NS-Widerstandskämpfer und KZ-Überlebenden Joseph Drexel. Dieser berichtete, dass er im Zuge brutaler Verhörmethoden seine eigene Auspeitschung bis zur Besinnungslosigkeit mit dem Passionslied „O Haupt voll Blut und Wunden“ – das beim Gedenkgottesdienst erklang – begleiten musste. Drexel habe erst laut gesungen, unter den Schlägen des Oberscharführers sei seine Stimme zunehmend leiser und sein Gesang nah an der Bewusstlosigkeit geworden. „Es gibt Lagen, in welcher Gesang wie eine belebende Droge wirkt, (…) und den Menschen in eine Art Rauschzustand versetzt, der ihn über sich wie in flammenden Flügeln hinaushebt“, beschrieb der Gefolterte im Rückblick seine Qualen.
„Wir sind verpflichtet, uns an das Leiden der Opfer zu erinnern“, betonte Chalupka. Und zwar an das Leiden jedes einzelnen, „damit die Auslöschung nicht nach dem Tode der Opfer weitergeht“. Die Erinnerung verpflichte aber auch, heute gegen Unrecht einzutreten. Der Bischof bezeichnete die Menschenrechte, „geboren aus den Schrecken des Nationalsozialismus“, als Basis des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Sie seien der lebendige Ausdruck der Achtung und des Schutzes der gleichen, unantastbaren und unverfügbaren Würde aller Menschen.
Werde dies geleugnet oder relativiert, stehe das in krassem Widerspruch zum christlichen Menschenbild, erklärte Chalupka. „Dies ist der Fall bei Ideologien, die ‚das Volk‘ vor das gemeinsame Menschsein stellen, das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher ethnischer Herkunft, religiöser Zugehörigkeit und kultureller Prägung ablehnen und die plurale Demokratie durch einen völkischen Nationalismus ersetzen wollen.“
„Mensch, wer bist du geworden?“
Diözesanbischof Scheuer wies zu Beginn des Gedenkgottesdienstes darauf hin, dass sich gemeinsames Beten als Stehen vor dem Angesicht Gottes realisiert – „mit offenen Augen für das Leiden, die Barbarei, den Terror, der den Opfern widerfahren ist“. Gott stelle wie nach dem Sündenfall im Paradies die Frage: „Adam, Mensch, wo bist du?“ Scheuer ergänzte mit den Worten des Gebets, das der verstorbene Papst Franziskus in Yad Vashem angesichts der Shoah sprach: „Mensch, wer bist du? Ich erkenne dich nicht mehr. Mensch, wer bist du geworden? Zu welchem Gräuel bist du fähig gewesen? Was hat dich so tief fallen lassen?“
Die Gedenkfeier mit Gottesdienst anlässlich des Jubiläums „80 Jahre Zweite Republik“ aus der KZ-Gedenkstätte Mauthausen wurde live in ORF 2 übertragen. Die musikalische Gestaltung kam von „Musica Viva“ , dem Chor der Pfarre Mauthausen unter der Leitung von Alfred Hochedlinger.