Die Weihnachtsgurke

 
von Evangelischer Pressedienst

Julia Schnizlein über die Besonderheit des Alltäglichen

Wie ein Weihnachtsbaum geschmückt ist, sagt oft etwas über die Familie aus, die ihn schmückt. Ob mit glitzernden Kugeln und Lametta, Süßigkeiten, Strohsternen, Schleifen, kleinen Glasspielzeugen – ob mit Bienenwachskerzen oder bunt blinkenden Lichterketten – traditionell, kitschig, elegant oder aus Plastik: Die Bandbreite ist so groß und bunt wie wir Menschen eben auch.

Unser Baum wird auch heuer wieder sehr bunt sein. Mit vielen vielen Glasfiguren, Schleifen und Holzengeln aus dem Erzgebirge. Je älter ich werde, desto mehr wünschte ich mir eigentlich einen schlichteren Baum, aber das würde zu einem Aufstand der Kinder führen. Für sie ist unser bunter Weihnachtsbaum bereits Tradition.

Eine Tradition, die ich von meinen Eltern aus Deutschland mitgebracht habe und auf die auch ich nicht verzichten wollte, ist die der Weihnachtsgurke. Ein unscheinbares kleines Glasding, das jedes Jahr zwischen den Zweigen versteckt wird. Derjenige aus der Familie, der sie zuerst findet, darf das erste Geschenk auspacken… Danach bringen wir sie gut sichtbar am Baum an.

Angeblich geht die Sache mit der Weihnachtsgurke auf einen deutschen Auswanderer zurück. Einen Bayer, der im amerikanischen Bürgerkrieg gefangen genommen wurde. Er wurde schwer krank und soll kurz vor seinem Tod nach einer sauren Gurke als „Henkersmahlzeit“ gefragt haben. Er aß sie und – oh Wunder: Es ging ihm plötzlich besser. Er wurde sogar wieder gesund. Als Erinnerung an diese schwere Zeit und an dieses besondere Ereignis hing der Mann nach seiner Freilassung jedes Jahr eine Essiggurke in seinen Weihnachtsbaum. Die Gurke hatte ihm ja das Leben gerettet!

Was an dieser Geschichte dran ist, weiß ich nicht. Es spielt für mich auch keine Rolle. Mir gefällt die Gurke – als Symbol. Gurken sind ja nicht besonders spannend. Der Geschmack unspektakulär und manchmal wird das Wort Gurke auch als Abwertung verwendet. Gurkentruppe zum Beispiel!
Warum hängt man sich also so eine gewöhnliche Gurke in den Baum? Vielleicht gerade deswegen, weil sie so durchschnittlich und alltäglich ist. Weihnachten ist ja auch keine Geschichte von Prunk und Pracht. Gott wird Mensch – nicht in einem Palast, nicht mit Pauken und Trompeten, sondern in einem schäbigen Stall. Gott war sich für das Alltägliche, selbst für das Unterdurchschnittliche nicht zu schade. Dort wo keiner von uns gerne sein will, dort ist er hingekommen. Und das gilt auch für mich. Gott nimmt sich meines gewöhnlichen Lebens an, gerade dort, wo ich es am liebsten ablehnen würde. Er kommt: In die Traurigkeit. In die Einsamkeit. In die Selbstzweifel, die Versagens- und Zukunftsängste. In meinen ganz normalen Alltagswahnsinn eben. Gott ist da! Mitten in meinem manchmal richtig vergurkten Leben.

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