Wie viele Religionen passen unter einem Christbaum?

Weihnachten im Dialog: Hinduismus, Islam, Judentum und Christentum

 
von Martina Schomaker
So feiern wir Weihnachten: gemischt-religiöse Paare berichten. (Fotos: privat)
So feiern wir Weihnachten: gemischt-religiöse Paare berichten. (Fotos: privat)

„Als ich drei oder vier Jahre alt war, hat mein Vater einmal einen günstigen Weihnachtsbaum erstanden und für uns gekauft. Aber kurz nachdem wir die Kerzen angezündet haben, hat der Baum zu brennen begonnen und mein Vater hat ihn aus dem Fenster geworfen. Der Brandfleck im roten Linoleumboden hat mich noch jahrelang daran erinnert“, erzählt Kurt Fleischner über sein allererstes Weihnachtsfest, das eigentlich keines wahr. Es dauerte noch einige Jahre, bis der Jude Kurt seine christliche Frau Elisabeth kennengelernt hat – und mit ihr das erste „richtige“ Weihnachten gefeiert hat. „Das war für uns nie ein Problem oder ein großes Thema, wir haben das einfach miteinander gefeiert“, sagt Fleischner, der vor seiner Pensionierung unter anderem als Coach und Unternehmer tätig war.

Kurt Fleischner hat mit seiner christlichen Frau Elisabeth das erste „richtige“ Weihnachten seines Lebens gefeiert.

Weihnachten: In Indien bekannt

Auch in der Familie von Pranav Venkatesh gab es regelmäßig Christbäume daheim, wenngleich in der Familie der Hinduismus praktiziert wird. „Seine Mama hat regelmäßig einen Plastikchristbaum aufgestellt, den sie extra gekauft hat. Einmal gab es sogar Kunstschnee“, berichtet Venkateshs Ehefrau Hannah Wildner, die als Lehrerin in Wien arbeitet. Weihnachten sei in Indien grundsätzlich kein unbekanntes Fest. Einerseits gibt es in Indien auch christliche Gemeinschaften, andererseits ist Weihnachten aus den amerikanischen Filmen bekannt. „Durch die Filme sind die Menschen in Indien sehr gut über den Westen informiert und machen ihn zu einem Idealbild, da gehört natürlich Weihnachten dazu.“

Er ist Moslem, sie ist Christin

Weihnachten gehört auch bei Familie Malekpour dazu. „Weihnachten ist bei uns ein Fest der Familie. Wir sitzen am Nachmittag nett beieinander, wir essen zusammen. Es gibt eine Krippe, einen Christbaum, Weihnachtslieder. Und am Abend gehen wir in die Christmette“, sagt Gisela Malekpour, Superintendentialkuratorin der Evangelischen Kirche in Niederösterreich. Die pensionierte Ärztin ist seit 1976 mit einem Arzt Ali Malekpour verheiratet, gemeinsam haben sie eine Tochter. Dass die beiden unterschiedlichen Religionen angehören – er ist Moslem, sie ist Christin –, hat sie vom gemeinsamen Feiern noch nie abgehalten. „Mein Mann schmückt etwa auch mit mir gemeinsam den Baum. Aber nicht aus Höflichkeit, es ist ihm ein echtes Anliegen.“ Und auch der gemeinsame Kirchenbesuch hat in Familie Malekpour einen hohen Stellenwert. „Von der ehemaligen Pfarrerin unserer Gemeinde in Krems, Roswitha Petz, gibt es diesen denkwürdigen Spruch: ‚Wir müssten Ali ein Ehrenzeichen verleihen. Ich kenne niemanden, der so oft in die Kirche geht wie er‘“, erzählt Gisela Malekpour schmunzelnd.

Er ist Moslem, sie ist Christin - gemeinsam gehen Ali und Gisela Malekpour jedes Jahr in die Christmette.

Chanukka und Weihnachten

Die gemeinsamen Kirchenbesuche sind auch Kurt und Elisabeth Fleischner ein wichtiges Anliegen. „In der Kirche haben mich manchmal Dinge mehr berührt als es bei den Menschen der Fall war, die jeden Sonntag aus einem Pflichtgefühl heraus gehen“, erzählt Kurt Fleischner. Und auch sonst fühle er sich von der weihnachtlichen Botschaft angesprochen: „Was da zu Weihnachten gefeiert wird, ist für mich die totale Frohbotschaft von der Erlösung – die man ohne Ostern aber nicht verstehen kann. Die Idee von Gnade hat mich dabei immer besonders berührt.“ Und obwohl Chanukka in der Kindheit von Kurt Fleischner – genauso wie Weihnachten – nicht gefeiert wurde, erkennt er heute einen Zusammenhang zwischen den beiden Festen. „Bei beiden Festen handelt es sich um ein Fest des Lichts, das im Zusammenhang mit einem göttlichen Wunder steht. Göttliches Licht kommt in die Welt.“

Internationale Weihnachten

Besonders traditionell wurde das Weihnachtsfest bei Hannah Wilnder und ihrem Mann Pranav Venkatesh gefeiert, als er erstmals in Wien auf Besuch war. „Da wurde traditionell gekocht, mit der Familie gefeiert und dann in die Kirche gegangen. Dabei hat meinen Mann besonders die Architektur gefallen und die Tatsache, dass alle gemeinsam in der Kirche singen“, sagt Wildner. Die letzten Weihnachtsfeste haben die beiden hin und wieder auch in Kanada verbracht, wo Pranav Venkatesh derzeit lebt.

Internationale Weihnachten gab es auch in der Familie Malekpour in den vergangenen Jahren zuhauf. „Wir haben auch schon Weihnachtsabende in Flüchtlingsunterkünften gefeiert, etwa in den 1980er Jahren mit polnischen, aber auch muslimischen, iranischen oder afghanischen Flüchtlingen“, so Gisela Malekpour, die sich seit Jahrzehnten in der Flüchtlingsarbeit engagiert.

„Unterschiedlichen Religionen anzugehören ist eine große Bereicherung, weil man dann auch die Feste der anderen Religionen feiern kann“, sagt Christin Hannah Wildner. Ihr Mann Pranav Venkatesh ist Hinduist.

Religiöse Feste bereichern

Neben den christlichen Festen werden in den Familien auch die Feste der anderen Religionen gefeiert. „Meinem Mann sind die muslimischen Feste nicht so wichtig, aber wir feiern jedes Jahr im Frühling das persische Neujahrsfest Nouruz. Und während wir Weihnachten traditionell österreichisch feiern, gibt es zu diesem Fest dann die persischen Traditionen und das gute persische Essen“, sagt Malekpour.

„Unterschiedlichen Religionen anzugehören ist eine große Bereicherung, weil man dann auch die Feste der anderen Religionen feiern kann“, sagt Wildner. So wird neben Weihnachten bei ihnen etwa auch das Lichterfest Diwali oder Gampati, das Fest für Ganesha, gefeiert. „Je mehr Feste, desto besser. Und egal welches Fest: es gibt immer gutes Essen“, so Wildner.

Alle drei Familien verbindet jedenfalls eine Erfahrung: dass das gemeinsame Feiern von Weihnachten nicht nur kein Problem ist, sondern auch eine Bereicherung sowie ein besinnliches und schönes Fest für die ganze Familie. „Ein Satz beschreibt für mich das Nebeneinander der Religionen am schönsten: Religionen sind wie ein Fingerzeig zum Mond. Wir sollten nicht auf den Finger schauen, sondern auf den Fingerzeig“, sagt Fleischner.

 

Text: Stefan Fleischner-Janits, er ist ausgebildeter Journalist und Pfarrer der Messiaskapelle im 9.Bezirk. Der Text ist in der Weihnachtsausgabe 2023 des Magazins "Evangelisches Wien/Schwerpunkt Thema" erschienen.

Weitere Artikel

Nach Oben