Zuhören

 
von Evangelischer Pressedienst

Maria Katharina Moser über eine wunderbare Fähigkeit

„Ich wünsche mir von mir, anderen zuzuhören“, so lautet der Titel eines Gedichts von Markus Klambauer, mit dem er den Literaturpreis Ohrenschmaus gewonnen hat. Dieser Preis ist einzigartig in Österreich. Autorinnen und Autoren, die Lernschwierigkeiten haben, kommen zu Wort. „Diese Texte eröffnen den Lesenden einen anderen Blick auf die Welt“, sagen die Initiatoren des Preises. Tatsächlich, der Titel von Markus Klambauers Siegergedicht schenkt uns eine neue Perspektive. Normalerweise sagen Menschen: „Ich wünsche mir, dass andere mir zuhören!“ Markus Klambauer aber wünscht sich, dass er anderen zuhört.

Dieser Wunsch lässt mich an das Pfingstwunder denken, von dem zu Pfingsten in den evangelischen Gottesdiensten die Rede ist: Die Jünger sitzen in einem Haus zusammen – traurig und verängstigt. Ihr Meister, Freund und Weggefährte Jesus wurde getötet. Wie wird es weitergehen mit ihrer gemeinsamen Vision? Und: Werden sie dasselbe Schicksal erleiden, wenn sie weitermachen? In dieser Situation der Angst passiert es: Der Heilige Geist kommt und erfüllt die Jünger. Sie verlassen ihr Angst-Haus und fangen an zu predigen „in andern Sprachen wie der Geist ihnen gab auszusprechen“, so heißt es im Neuen Testament. Die Menschen, die sich vor dem Haus versammelt haben, wundern sich sehr: Sie hören die Jünger in ihrer eigenen Sprache!

Meist halten wir die Fähigkeit, in fremden Sprachen zu sprechen, für das Pfingstwunder. Doch das Hören scheint mir mindestens genauso wunderbar. Vielleicht kennen Sie das aus eigener Erfahrung: Es ist nicht leicht, über Dinge zu sprechen, die uns tief betreffen und berühren; die uns weh tun und mit Angst oder Scham verbunden sind. Um sprechen zu können, brauchen wir das Gefühl, dass uns jemand wirklich zuhören will.

Markus Klambauer will das. Zuhören. Und was hört er, wenn sein Wunsch, anderen zuzuhören, in Erfüllung geht? Hören (bzw. lesen) wir sein ganzes Gedicht: „Ich höre den Winter, wenn der Schnee vom Himmel fällt. Ich höre die Arbeit, das Rucken der Tische und Sessel. Ich höre die Konflikte der Arbeitskollegen. Ich höre das miteinander Reden, es ist gut. Ich höre, wenn sich jemand Zeit zum Zuhören nimmt. Ich höre die Stimme der Iris, wenn sie lacht. Ich höre, wenn meine Freundin redet. Ich höre, wenn meine Neffen durch die Schiebetür kommen. Ich höre die Stimme im Haus. Das ist gruselig, und ich habe Angst. Ich lege mich auf das Herz von Kerstin und höre es schlagen. Ich höre die Wärme von meiner Freundin Kerstin und ihr Herz. Ich höre das Zuhören meiner Mitmenschen im ganzen Raum, was sie reden. Ich höre zu.“

 

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