Wir sind Wien: Vom Interview zum Prototyp

Gruppe trifft sich zur kreativen Klausur in Großrußbach - Ergebnisse

 
von Martina Schomaker
Die Großrußbach-Gruppe in Aktion
Die Großrußbach-Gruppe in Aktion

Tapetenwechsel für die Mitglieder der Zukunftsinitiative „Wir sind Wien. Evangelische Gemeinde 2022“: In dem partizipativen Kirchenentwicklungsprozess, dessen Vorphase sich noch bis November 2018 erstreckt, haben sich die ehrenamtlich und hauptamtlich Engagierten für zwei Tage nach Niederösterreich zur kreativen Klausur in Großrußbach zurückgezogen. Die 15-köpfige Gruppe kam mit drei „Prototypen“ im Handgepäck zurück nach Wien.

Prototypen? So werden die Ideen genannt, die aus dieser Design-Sensing-Vorphase erwachsen sind. Die Prototypen sollen jetzt getestet werden – davon verspricht sich die Gruppe weitere Erkenntnisse: Passen die Prototypen zu allen Pfarrgemeinden? Sind die Ideen realisierbar? Fallen durch die Tests strukturelle Herausforderungen auf?

Doch von vorn: Am Freitag, 15. Juni, und Samstag, 16. Juni, kamen viele vom Design-Sensing-Team und einige aus dem Sounding-Board des Projekts in Großrußbach zusammen. Im Gepäck hatten sie geführte Interviews mit unterschiedlichsten Wiener*innen: kirchlich Aktive, Neueingetretene wie auch Ausgetretene hatten sie im April und Mai befragt. Von der Jugendlichen bis zum Pensionisten. Ein guter Querschnitt.

Die Gruppe versetzte sich in die Interviewpartner*innen und diskutierte, welche übergreifenden Hauptpunkte angesprochen wurden. Denn trotz der unterschiedlichen Interviewpartner*innen gab es mehrere thematische Überschneidungen. Zum Beispiel: die Evangelische Kirche soll „sozialer sein“, soll „cool sein“, soll „offener und liberal“ sein.

Jedoch in Hinblick auf die Projekt-Leitfrage „Wie können wir als Gemeinschaft ausstrahlen und mehr Menschen anziehen“ zeigte sich, dass dieser Punkt am wichtigsten ist: „Die Evangelische Kirche zeichnet sich durch 1:1-Begegnungen aus“. Das persönliche Zeugnis, die persönliche Begegnung – durch die ist „Evangelische Kirche“ anziehend und strahlt aus.

Am Samstag wechselte das Team nochmal die Perspektive – im „Perspektivenkarussell“. Wie reagiert eine „Volksschülerin“ auf die Evangelische Kirche und auf eine 1:1-Begnung mit der Evangelischen Kirche? Wie ein „Dagobert Duck“? Wie eine „Kirchgängerin“? Wie die „Erde“? Wie „Buddha“? Die Übung weitete die Vorstellungen von dem, was 1:1-Begegnungen für die Gruppenmitglieder persönlich bedeuten.

Mit diesem geweiteten Horizont teilte sich die Gruppe in drei Teams auf. Aus den Erfahrungen des Perspektivenkarussells wählte jedes Team einen Gedanken, eine Idee aus und bastelte drauf los. Heißkleber, Pinnwand, Schere. Erstaunlich für alle war, wie das kreative Werken auch die Gedanken immer kreativer werden ließ – und konkreter. Am Ende wurden in neuen Kleingruppen diese drei Prototypen diskutiert:

1. „Begegnungs-Netzwerk“: Wie wäre es, wenn wir 1:1-Begegnungen systematisch möglich machten? Zum Beispiel mit einer Plattform, auf der man Termine mit Evangelischen vereinbaren kann, um über bestimmte Themen – wie den Umweltschutz, Kindererziehung und so weiter – ungezwungen zu sprechen und zu diskutieren. Einfach so. Weil das Thema verbindet.

2. „Kirche – Kinder – Schule“: Ihr „Evangelisch-Sein“ erleben Schüler*innen in der Pfarrgemeinde und in der Schule. In der Pfarrgemeinde sind sie ein evangelisches Kind unter vielen Evangelischen. In der Schule sind sie ein evangelisches Kind unter vielen anderen Mitschüler*innen, oft ohne einen weiteren „Verbündeten“ in der Klasse für den Evangelischen Religionsunterricht.
Wir glauben, dass eine gute Kinder- und Jugendarbeit in der Pfarrgemeinde sowie ein guter Religionsunterricht sich gegenseitig positiv beeinflussen. Durch die bisherigen organisatorischen Strukturen ist ein Austausch zwischen Religionslehrer*in und Ki-Ju-Mitarbeiter*in derzeit eher die Seltenheit. Strukturelle Herausforderungen sind die Arbeitsbelastung in Schule und Pfarrgemeinde, die bereits am Limit ist, sowie der Fakt, dass die Religionslehrer*innen mehrere Schulen betreuen und so mit Kindern aus unterschiedlichen Pfarrgemeinden arbeiten.
Wir wollen in diesem Prototyp die Religionslehrer*innen und Ki-Ju-Mitarbeiter*innen wirksam vernetzen. Zunächst mit Informationen. Wir testen das Zusammenspiel zum Schulbeginn im September 2018 mit einigen Religonslehrer*innen im Pflichtschulbereich und deren Pfarrgemeinden. Unsere Vision ist, dass die Pfarrgemeinden passgenau und wie selbstverständlich ihre Religionslehrer*innen auf dem Laufenden halten und dass zusätzlich die Pfarrgemeinde ein Begegnungsort für die evangelischen Schüler*innen verschiedener Schulen werden (z.B. durch einen dem RU-aufgreifenden, thematischen Spielnachmittag).

3. „Open-Church / Gemeinschafts-Pfarrgarten“: Die Evangelische Pfarrgemeinde soll im Grätzl nicht nur sichtbarer werden, sondern auch in der Grätzel-Gemeinschaft eingebettet sein. Die Arbeit daran beginnt schon bei den Räumlichkeiten. Oft sind unsere Evangelischen Kirchen von Mauern oder hohen Hecken eingezäunt. Dabei haben viele Pfarrgemeinden einen schönen Hof oder einen schönen Pfarrgarten, der sehr einladend sein kann. Wir wollen die Höfe und Pfarrgärten öffnen, und zum Hereinschauen oder zum Verweilen zur Verfügung stellen. Von der gratis Mitnahme von „Kräutertöpfen mit Botschaft“ bis zu sichtbaren Platzierung unserer Liegestühle „Frei samma! Da Jesus hod uns aussegrissn“ und der Einladung zum Verweilen eventuell mit Erfrischungsgetränken und Abkühlung im Planschbecken für Kinder…. Wir versuchen, die Pfarrgemeinden in Simmering und in Floridsdorf für diesen Test zu gewinnen – der Sommer wäre ideal dafür.

Alle drei Prototypen sollen diese Kriterien bestmöglich erfüllen:

Relevanz: Macht es einen Unterschied für uns, für die Gemeinschaft, für die Evangelische Kirche A.B. in Wien?
Passend: Schließt es die Perspektive der anderen ein – passt es für die Zielgruppe?
Innovativ: Ist es neu, interessant? Macht es Veränderung möglich?
Schnell: Passt es in unseren Zeitrahmen? Ist es schnell – noch vor November – umsetzbar?
Roh genug: Ist es leicht umzusetzen und – je nach Pfarrgemeinde und Arbeitsbereich – anzupassen?
Effektiv: Nutzt es Stärken und Kompetenzen?
Reproduzierbar: Kann es in jeder Pfarrgemeinde in Wien umgesetzt werden?

 

Ausführliche Informationen zu dem Innovationsprozess hier: www.evang-wien.at/wir-sind-wien

Hintergrund:

Einen mutigen Schritt in die Zukunft wagt die Evangelische Superintendenz A.B. Wien. Angesichts sinkender Mitgliederzahlen startet sie mit dem Projekt „Wir sind Wien“ einen Innovationsprozess für die Diözese, die 21 Pfarrgemeinden und diverse Arbeitsbereiche umfasst. Im November 2017 hat die Superintendentialversammlung (das „Parlament“ der Evangelischen Diözese) mehrheitlich mehrere zehntausend Euro zugunsten dieses Zukunftsprojekts ‚„Wir sind Wien‘. Evangelische Gemeinde Wien 2022“ gewidmet. Im März 2018 wurde ein "Design Sensing"-Prozess gestartet, dessen Ergebnisse am 17. November 2018 präsentiert werden sollen.

Ziel der Zukunftsinitiative:

Ziel ist es, ein gemeinsames, blühendes evangelisches Leben in Wien zu stärken und (weiter) zu entwickeln. „Auch wenn das Ziel nicht neu ist, so ist es die Herangehensweise. Wir sind mitten in einem Design Sensing-Prozess“, sagt Petra Mandl, sie ist Mitglied im Superintendentialausschuss und Vorsitzende des Projekts „Wir sind Wien“.

Wie es weitergeht:

Am Donnerstag, 28. Juni, trifft sich das Sounding Board der Zukunftsinitiative „Wir sind Wien. Evangelische Gemeinde 2022“. Außerdem läuft jetzt von Mitte Juni bis zum 6. Oktober die „Testphase“ des Design-Sensing-Prozesses.

Am 6. Oktober trifft sich das Design-Sensing-Team zur Evaluationssitzung. 

Im November ist die Design-Sensing-Vorphase des Kirchentwicklungsprojektes abgeschlossen. Am 17. November werden die Ergebnisse auf der öffentlichen Superintendentialversammlug (dem „Parlament“ der Evangelischen Diözese A.B. Wien) in Wien-Simmering vorgestellt.

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